Die siedlung jungfernheide mit Ludwig Mies‘ wohnanlage der primus heimstätten-gesellschaft sind teil des flächengrössten kolonialviertels in der bundesrepublik. Seine strassen liegen im westlichen winkel zwischen müllerstrasse und seestrasse im berliner ortsteil wedding.
der streitbruch als ›libysche wüste von berlin‹
Im 19. jahrhundert lag diese gegend am östlichen rand der jungfernheide. Sie wurde von einem wasserlauf mit dem namen ›langes fenn‹ durchflossen.
In historischen karten ist die gegend als ›streitbruch‹ eingetragen. Der namensteil ›bruch‹ weist ebenso wie der begriff ›fenn‹ auf ein teilweise vermoortes feuchtgebiet hin. Auf dieses nicht mehr vorhandene feuchtgebiet beziehen sich heute die strassennamen ›fennstrasse‹ und ›torfstrasse‹.
Den ›streit‹ mag es um die genaue lage der berliner stadtgrenze gegeben haben, die hier noch bis 1915 verlief und die sich am verlauf des fenns orientierte.
Das feuchtgebiet lag in einem aufgelockerten wald, der von offenen dünen durchzogen war. Auf das lange fenn geht die seenkette am östlichen rand des volksparks rehberge zurück.
Der seit über 100 jahren nicht mehr vorhandene wasserlauf des fenns, der fenngraben, ist auch im bereich der vorderen afrikanischen strasse (d.h. zwischen transvaalstrasse und seestrasse) bis in die gegenwart stadtbildprägend.
Die seestrasse überquerte den fenngraben mit einer brücke an der stelle, an der sich heute die strassenbahnhaltestelle seestrasse / amrumer strasse befindet. Von dort verlief der fenngraben weiter zur triftstrasse, die ihn auf höhe des heutigen studenwohnheims augustenburger platz ebenfalls mit einer brücke überquerte.
Die luxemburger strasse brauchte den fenngraben nicht zu überqueren, weil sie in diesem bereich erst im zusammenhang mit dem bau der U-bahnlinie 9 angelegt wurde, als der fenngraben schon lange geschichte war. Ihre aufgabe als hauptverkehrsstrasse erfüllte zuvor die triftstrasse.
Ab dem pekinger platz verläuft der spandauer schiffahrtskanal heute in der früheren lage des fenngrabens. Der graben mündete in der nähe des hauptsbahnhofs in die spree.
Die aufladung des streitbruchs und weiter nordöstlich gelegenen rehberge mit afrika-bildern begann schon um 1800, also lange bevor strassen in die landschaft führten, die nach der geografie afrikas benannt waren, und lange bevor Carl Hagenbeck hier einen tierpark mit kolonialem programm plante.
Bereits mitte des 19. jahrhunderts nannte Carl Riesel in einem seiner wanderführer diese diese dünenlandschaft ›die libysche wüste von berlin‹.
Hier legte die preussische armee mehrere schiessplätze an. An der seestrasse entstanden die heute noch vorhandenen friedhöfe dreier evangelischer gemeinden aus berlin.
von schiessplätzen zur konversionsfläche
Die anlage der schiessplätze überformte die dünenlandschaft stark. Zu den offensichtlichsten eingriffen gehörte das aufgraben von dünen, um waagrechte schiessbahnen anlegen zu können (mehr dazu unter dem thema militär-geschichte).
Nach der aufgabe der schiessplätze stellte sich die frage nach der künftigen nutzung dieser konversionfläche, die bis an die westseite der afrikanischen strasse heranreichte.
das ›afrikanische viertel‹
Carl Hagenbecks entwurf für einen tierpark an dieser stelle der jungfernheide nutzte die eigenheiten der militärisch überformten dünenlandschaft. Die pläne seines unternehmens sahen vor, die gräben der ehemaligen schiessbahnen als themen-täler auszustatten, beispielhalber eine ›affenschlucht‹ an der stelle, an der bis heute ein tiefer hohlweg die grosse düne im goethepark durchschneidet.
Während Hagenbeck plant, werden die grundstücke zwischen müllerstrasse und afrikanischer strasse neu aufgeteilt und das heute bestehende strassenraster freigelegt. Die kolonialpropaganda des deutschen reichs forciert sowohl die absichten hagenbecks als auch die benennung der neuen strassen mit kolonialen begriffen.
Nach dem tod Carl Hagenbecks verfolgen seine erben die pläne für einen tierpark noch einige zeit weiter. Sie verlaufen jedoch während der frühzeit des 1. weltkriegs im sand.
Inzwischen war der bedarf nach kleinen wohnungen so gewachsen, dass planungen für eine siedlung auf der fläche der früheren schiessplätze begonnen wurden: Die siedlung jungfernheide.