Die berliner siedlung jungfernheide mit der von Ludwig Mies entworfenen wohnanlage der primus heimstätten-gesellschaft ist ein wohnbau-projekt der öffentlichen hand aus der zeit des ersten weltkrieges und der weimarer republik.
Die siedlung liegt direkt neben dem goethepark und dem volkspark rehberge im früheren verwaltungsbezirk wedding von berlin. Sie ist teil des flächengrössten kolonialviertels in der heutigen bundesrepublik. Das viertel erstreckt sich im westlichen winkel zwischen müllerstrasse und seestrasse und ist heute unter dem namen ›afrikanisches viertel‹ bekannt.
Die kleinhäuser der siedlung stehen an senegalstrasse, tangastrasse, ugandastrasse, dualastrasse, sambesistrasse und im nummernbereich 27 der transvaalstrasse.
An der afrikanischen strasse ergänzt die wohnanlage der primus heimstätten-gesellschaft die blockränder der siedlung. Die wohnanlage ist seit dem 1. januar 1967 ein baudenkmal des landes berlin.
entwurf
Der verlauf der nebenstrassen folgt einem entwurf von Hermann Dernburg aus dem jahr 1919 zu einer siedlung, die bei vollständiger ausführung eine etwa sechsfach grössere fläche eingenommen hätte als die heute vorhandene siedlung. Die von Dernburg in diesem zusammenhang entworfenen haustypen wurden nicht ausgeführt.
Unterbrochen durch die hyperinflation in deutschland wurden die kleinhäuser in zwei bauphasen erstellt:
In der 1. bauphase bis februar 1923 baute das bezirksamt wedding in eigenregie (also ohne zwischengeschalteten bauträger) häuser nach den entwürfen von Franz Arnous. Das eigentum an diesen häusern und dem dazu gehörenden grund wurden in der siedlung jungfernheide gmbh zusammengefasst, deren kapital jeweils zur hälfte von den siedlern und dem bezirksamt gehalten wurde. Zwischen den siedlern und der gesellschaft bestanden pachtverhältnisse, wodurch diese rechtliche konstruktion eine genossenschafts-ähnliche prägung erhielt.
In der 2. bauphase nach dem ende der hyperinflation im november 1923 ergänzte die staatliche wohnstätten-gesellschaft die siedlung mit häusern nach entwürfen aus dem büro Mebes & Emmerich, darunter alle häuser in der tangastrasse. Das eigentum an diesen häusern und grundstücken wurde nach der fertigstellung an die einzelnen siedler übertragen.
Auf dem freigebliebenen streifen an der afrikanischen strasse, für den bereits Hermann Dernburg ausdrücklich keine entwürfe liefern sollte, liess die kommunale primus heimstätten-gesellschaft ab 1925 eine wohnanlage in vier blöcken nach Ludwig Mies‘ entwürfen bauen. Block I (d.i. das gestaffelte eckhaus an der tangastrasse) und Block II errichtete die Bauhütte Berlin. Block III und Block IV wurde von der industriebau AG errichtet.

wohnanlage der primus heimstätten-gesellschaft
Die wohnanlage der primus heimstätten-gesellschaft ist Mies‘ grösster kommunaler wohnbau aus der zeit vor seiner emigration in die USA im jahr 1938. Er umfasst mehr als dreieinhalb mal so viele wohnungen wie der von ihm kurz darauf entworfene wohnblock in der stuttgarter weissenhofsiedlung.
an der ecke transvaalstrasse / afrikanische strasse, wo sich heute eine anlage mit tennisplätzen befindet, wäre platz für einen fünften block der wohnanlage gewesen. Dazu scheint kein auftrag erteilt worden zu sein, weil an der transvaalstrasse der haupteingang zum volkspark rehberge entstehen sollte.
Die häuser der wohnanlage waren zwar nicht die ersten bauten an der afrikanischen strasse, sie sind jedoch die ersten bauten, die dort hausnummern erhielten, da die afrikanische strasse bei ihrem ausbau ausgehend von der seestrasse abschnittweise für ›anbaufertig‹ erklärt wurde, und hauseingänge nur an anbaufertigen strassen liegen durften.
eine geschichte mit unerwarteten einsichten
Viele wichtige fragen zur geschichte der siedlung jungfernheide und der wohnanlage der primus heimstätten-gesellschaft sind seit jahrzehnten ungeklärt, weil die quellenlage dürftig ist.
In einem neuen ansatz erforschen, dokumentieren und vermitteln wir die geschichte von siedlung und wohnanlage. Dafür erschliessen wir mit hilfe statistischer verfahren ein breites feld vieler kleinteiliger quellen.
Sowohl bei der siedlung jungfernheide als auch bei der wohnanlage der primus heimstätten-gesellschaft handelt es sich wegen ihrer ursprünglich kommunalen und staatlichen trägerschaft und ihrer lage in einem kolonialviertel um politische bauprojekte.
Die erforschung ihrer geschichte braucht deshalb andere perspektiven als die erforschung der geschichte der häuser für private auftraggeber·innen, die mit abstand den grössten teil des gebauten werkes von Ludwig Mies vor seiner emigration ausmachen.
Mit blick auf ihren politischen charakter ist die wohnanlage eher mit anderen politischen bauprojekten des architekten für die öffentliche hand vergleichbar, beispielhalber seinen wettbewerbsbeiträgen
- für ein monumentales bismarck-denkmal auf der elisenhöhe bei bingen,
- für den umbau der neuen wache in berlin,
- für den neubau der reichsbank-zentralverwaltung in berlin und
- für den pavillion des nazi-regimes auf der weltausstellung 1935 in brüssel.
Im unterschied zu den entwürfen für diese politischen bauprojekte wurde die wohnanlage der primus heimstätten-gesellschaft jedoch tatsächlich auch gebaut.
lageplan
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