forschungs​projekt

wirtschafts-geschichte

Siedlung jungfernheide und wohnanlage an der afrikanischen strasse ermöglichen einen aufschlussreichen blick auf die wirtschafts-geschichte des kommunalen wohnungsbaus und eine vergleichende betrachtung mit aktuellen fragen der wohnungspolitik.

Die bauphase 1 der siedlung jungfernheide wurde vom damaligen bezirksamt wedding in eigenregie errichtet (sog. regiebau). Das bezirksamt und die bezirksversammlung (vorläuferin der heutigen bezirksverordnetenversammlung) entschieden sich anschliessend ausdrücklich gegen die möglichkeit, diesen siedlungsteil in eine wohnungs- oder siedlungsgenossenschaft zu überführen, weil das bezirksamt den pächter·innen nicht zutraute, sich selbst zu verwalten. Stattdessen gründete das bezirksamt mit den pächter·innen der grundstücke die gemeinnützige siedlung jungfernheide gmbh, die die siedlung bis etwa 1960 als zwischenträger bewirtschaftete. Anschließend wurde die gesellschaft auf wunsch des bezirksamtes aufgelöst, wobei die pächter·innen die grundstücke und das bezirksamt die flüssigen mittel der gesellschaft erhielt.

Die finanzierung des baus der wohnanlage an der afrikanischen strasse erfolgte mit eigenmitteln der zuständigen kommunalen wohnungsgesellschaft, mit mitteln aus der hauszinssteuer, mit fördermitteln der stadt berlin aus dem ›fünf-millionen-fond‹ (gemeint ist ein budget in stabilisierter reichsmark nach ende der hyperinflation) und mit baukostenzuschüssen der künftigen mieter·innen. Die verlangten baukostenzuschüsse dürften zu einem spürbaren sozialen auswahleffekt unter den mieter·innen geführt haben.

Die blöcke I und II der wohnanlage (beiderseits der tangastrasse) wurden von der bauhütte berlin gmbh ausgeführt. Die blöcke III und IV (beiderseits der dualastrasse) führte die industriebau ag aus.

Die bauhütte berlin war teil der DEWOG-bewegung und mitglied des von Martin Wagner und August Ellinger bereits 1920 gegründeten verbandes sozialer baubetriebe.

Im Jahr 1938 übertrug die nationalsozialistische verwaltung der stadt berlin die geschäfte und vermögensbestände aller unmittelbar kommunalen wohnungsgesellschaften der stadt berlin auf die bereits in der weimarer republik gegründete wohnungsfürsorgegesellschaft berlin mbh (WFG). Damit ging auch die wohnanlage an der afrikanischen strasse an die WFG über. Rechtlich handelte es sich dabei nicht um eine verschmelzung der gesellschaften: Sie bestanden als leere hülle weiter und wurden später von amts wegen gelöscht.

Nach der zusammenfassung wurde die wohnungsfürsorgegesellschaft in gemeinnützige siedlungs- und wohnungsbaugesellschaft mbh (kurz GeSiWo oder GSW berlin) umbenannt. Das wohnbau-geschäft verblieb bei der GSW berlin, während der bisherige geschäftsbereich der wohnbauförderung abgespalten und der dafür neu gegründeten rechtlichen vorläuferin der heutigen investionsbank berlin übertragen wurde. Die GSW berlin erfüllte in berlin diejenigen aufgaben, die das nazi-regime im übrigen deutschen reich in den regionalen neue-heimat-gesellschaften zusammenfasste. In berlin wurde der name ›neue heimat‹ vermutlich deshalb nicht verwendet, weil mit diesem namen dort bereits eine andere gesellschaft eingetragen war.

Die wohnanlage an der afrikanischen strasse blieb eigentum der GSW berlin, bis ende der 1990er jahre auf betreiben der finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) eine privatisierungswelle kommunaler güter einsetzte. Zu dieser zeit verkaufte das land berlin große teile seiner stadtwerke-sparten (BEWAG, GASAG, BWB) und seiner kommunalen wohnungsgesellschaften (u.a. die GEHAG).

Die GSW berlin war von einem gesamtverkauf zunächst nicht betroffen, jedoch begann die gesellschaft zu dieser zeit mit einem auf 30 jahre angelegten veräusserungsprozess der wohnungen in der wohnanlage an der afrikanischen strasse, sodass heute nur noch eine minderheit der wohnungen eigentum der GSW ist.

Das land berlin verkaufte die GSW berlin schliesslich im Jahr 2004 unter der zuständigkeit des finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD).

Da die GSW heute nur noch ein zwischenträger der deutsche wohnen ist, könnte eine re-kommunalisierung ihrer wohnungsbestände auch auswirkungen auf die wohnanlage an der afrikanischen strasse haben.

siedlung jungfernheide